ALLGEMEINES

1.19) Heilige Berge

Der Mensch bildet sich nach der Erde;
Die Erde bildet sich nach dem Himmel;
Der Himmel bildet sich nach dem Tao;
Das Tao bildet sich nach der Natur.
Lao Tse

a) Allgemeines
Der Berg ist ein weitweit verbreitetes Symbol der Gottnähe. Er erhebt sich über die alltägliche Ebene der Menschheit und reicht in die Nähe des Himmels. Der von Wolken verhüllte Gipfel regt die Phantasie an 46).

Die Stele von SusaDer Berg in seinem kosmischen Bezug, ist ein Weltzentrum, ein Omphalos (Nabel), durch den die Polachse verläuft, in deren Verlängerung sich dann der Polarstern befindet. Der höchste Punkt der Erde wird als die Mitte betrachtet, als der Gipfel des Paradieses, der Treffpunkt von Himmel und Erde. Da er axial und zentral ist, bietet er die Gelegenheit zum Übergang von einer Ebene in die andere (Initiation) und zur Verbindung mit den Göttern, deren Wohnstatt er ist (z.B.: Olymp). Der Berg war bereits vor der Geburt des Menschen da und wird auch noch da sein nach seinem Tod. Daher verkörpert er Beständigkeit, Ewigkeit, Festigkeit und Ruhe. Vom Berg Sinai und Karmel erhielten die Juden ihre Offenbarungen und erwarten die endzeitliche Wiederkunft Jahwes am Berge Zion in Jerusalem.

In der christlichen Ikonographie wird Gott als Weltenrichter oftmals auf den Weltenberg, aus dem die vier Flüsse des Lebens entspringen, sitzend dargestellt. Die vielen Stellen mit Bergen in der Bibel (z.B. Golgatha) wären es wert, eine dafür eigene Exegese durchzuführen. Alle anderen Berge sollten jedoch symbolisch abgetragen werden, was vielleicht als eine bewusste Abkehr von heidnischen Bergkulten zu verstehen ist. Dadurch ist es nicht wunderlich, dass nach der Missionierung Mitteleuropas alte Hohenheiligtümer entweder als Sammelplatz böser Geister, Teufel und Hexen angesehen oder in Kirch- und Marienberge verchristlicht wurden.

Auf der Ebene des Geistes stellen Bergspitzen das Stadium vollen Bewusstseins dar. Pilgerfahrten zu Heiligen Bergen symbolisieren Sehnsucht, Absage an irdisches Verlangen, Erlangung von höchsten Stadien und den Aufstieg vom Unvollkommenen und Begrenzten zum Ganzen und Unbegrenzten 47).

Heilige Berge sind auch Orte göttlicher Offenbarung, wie Sinai, Horeb, Tabor, Fujiyama und Kailash. Tempelbauten haben oft die terrassenförmige Struktur eines Berges entsprechend der Einweihungsstufen des Priesters oder Adepten. Bei Heiligen Bergen vorgeschichtlicher Kulturen finden wir ebenfalls diesen terassenförmigen Aufstieg bis zum Allerheiligsten (z.B. Heidenstein in Eibenstein).

Der typische biblische Heilige Berg ist der Berg Sinai während der Gottesoffenbarung an Moses (Exodus 19, 12): »Ziehe um das Volk eine Grenze und sage: Hütet euch, auf den Berg zu steigen oder auch nur seinen Fuß zu berühren. Jeder, der den Berg berührt, soll mit dem Tode bestraft werden.«

Im Berginneren war nach germanischen Vorstellungen die Unterwelt als schöne Wiese. Oftmals ist das Berginnere das Totenreich (Beispiel: König Barbarossa im Untersberg). In vielen Märchen und Sagen ist überliefert, dass in den Bergen Schätze verborgen sind, die von Zwergen oder Drachen gehütet werden. Sie sind vielleicht die uralte Erinnerung an das Wissen um die »Energie-Schätze« der weisen Frauen. Interessant ist auch, wenn wir das Zeitwort bergen meditieren, das etwas mit hüten und schützen zu tun hat.

St. Michel d’Aiguilhe, in Le Puyb) Geomantie Heiliger Berge:
Betrachtet man die Religionsgeschichte und Symbolik heiliger Berge, so erhebt sich die Frage, war vor dem Kult auf dem Berge bereits etwas göttliches (besondere Energien) auf diesem Ort der Kraft. Ich bin zur Überzeugung gekommen, dass immer bestimmte terrestrische und/oder kosmische Energien an so einem Platz vorhanden waren. Mitverantwortlich für die Energie auf Sakralplätzen sind vielfach unterirdische Wässer, die Blinden Quellen (blind spring) -siehe Glossar.

Im 8. Jahrhundert begann in Italien am Monte Gargano die Tradition, Michaelsheiligtümer auf Bergen zu errichten. Der Erzengel Michael ist auch der Lichtträger. (gegen die finsteren Mächte) der möglicherweise den ursprünglichen Lichtgott (Belenus, Apoll) damit abgelöst hat. Wie in Monte San Angelo am Monte Gargano sind Michaelsheiligtümer in Heiligen Höhlen, die auf Berghügeln liegen.

In England konnte John Michel eine Michaelslinie nachweisen. Verfolgt man die Sonnenaufgangslinie am Michaelstag, den 29. September, über die Landschaft, so führt diese über Michaelsberge im Südwesten Englands.

In Frankreich gibt es ebenfalls schöne Beispiele, wie den Mont St. Michel, der Wallfahrts- und Klosterinsel in der Normandie sowie das Heiligtum St. Michel d’Aiguilhe in Le Puy, einer vulkanischen Felsnadel zu der 269 Stufen führen. In dieser spiralförmig ausgebildeten Kapelle beginnt einer der vier Pilgerwege nach Santiago de Compostela.

Gegenüber Hügeln mit (weiblichen) Mondheiligtümern im Westen, des Mondaufganges, liegen im Osten, der Richtung des Sonnenaufganges die Sonnenheiligtümer. Bei den ursprünglichen Mondheiligtümern finden wir heute in der Regel Marien- oder seltener Frauenkirchen auf einem Buchberg oder Büchlberg.

Bei den ursprünglichen Sonnenheiligtümern finden wir häufig Bergkirchen, die dem HI. Johannes, den Täufer geweiht sind. Das Fest dieses Heiligen ist drei Tage nach der Sommersonnenwende, am 24. Juni, wo die Wirkung der Sonne am Stärksten ist. In der Kulmlandschaft der Steiermark sind dies der Büchlberg und die Kirche in St. Johann/Herberstein. in Karlsruhe finden wir die gleiche Konstellation 49).

 

Die Abweichungen in Richtung Süden können sein:

6° Nach Joseph Heinsch: Der Maßbaum der Edda im Sonnenkreis in Allgemeine Vermessungsnachrichten, Sonderdruck Nr.22/23 Jg. 1937, zitiert bei J.Möller, Geomantie in Mitteleuropa.

12° Nach DipI.Ing. Herbert Reichel: Urwege in Österreich, Eigenverlag, Wels.

 

Quelle: Jens Möller: Geomantie in Mitteleuropa,1995, J. Kamphausen Verlag, ISBN 3591082724

 

 

 

Uluru in Australienc) Bergheiligtümer: Mond- und Sonnenheiligtümer
An vielen der oben beschriebenen Fruchtbarkeits-Kultplätzen sind Energie-Qualitäten des Mondes zu finden, doch erst in späterer Zeit, vielleicht etwa um 6000 v. Chr., finden wir an diesen Orten kosmische Einstrahlpunkte mit der Planetenenergie des Mondes. Zur Zeit des Spätneolithikums, um die 3000 v. Chr. entstehen Mondheiligtümer auf den Bergen. Man feierte zu den kosmischen Festzeiten die Lebensfeste und entsprechend der Bewusstseinsentwicklung mit dem Sonnenjahr. Hier realisiert sich die mythische Heilige Hochzeit des Himmelsgottes mit der Erdgöttin und sucht sich die dafür entsprechenden Kraftorte.

Das Mondheiligtum liegt in der Regel im Westen, der Himmelsrichtung der Wiedergeburt, gegenüber dem im Osten (meist einige Grade südöstlich) befindlichen Sonnenheiligtum. Wie oben beschrieben, symbolisiert Mond das Fruchtbarkeits-Prinzip »Mond – Wasser – Fruchtbarkeit – Frau«. Demnach finden sich auf solchen Bergen außer den planetarischen Mondkräften auch das Wasser in Form einer Heiligen Quelle. Auf diesen Bergen, an denen die Mondgöttin verehrt wurde, standen oftmals Buchen, die dem Berg den Namen gaben — Buch-, Büchel-, Buchenberge usw... Die Buche ist der Erd- und Liebesgöttin Frigga (Frika) geweiht. Später wurde das Mondheiligtum oftmals zu einem Frauen- oder Marienheiligtum.

Im Osten, der Richtung der aufgehenden Sonne, wurden Sonnenheiligtümer auf Bergen errichtet, die dem männlichen Sonnengott geweiht waren. Sonne ist Leben! Alle Lebewesen dieser Erde brauchen Sonne, um zu leben — genauso gehört unbedingt Wasser dazu. Nur die Verbindung der Gegensätze Himmel – Erde, Mann – Frau usw. zeugte Leben und Fruchtbarkeit. Daher besitzen auch Sonnenheiligtümer eine heilige Quelle oder eine Blinde Quelle 50).

Wenn die Sonne im Jahreslauf am höchsten steht - zur Sommersonnenwende - wurde der Sonnengott verehrt, ob er nun Apollo, Helios, Balder, Belenus, Mithras usw. hieß. Im Christentum übernimmt Johannes diese Funktion. Paradoxerweise wird das Fest des Johannes des Täufers (Wasser) zur Sommersonnenwende (24.6.) gefeiert und des Lieblingsjünger Johannes (Feuer der Liebe) etwa zur Wintersonnenwende (27.12.). Das Feuer der Liebe (24.6. = Sternbild Löwe) steht meist in Verbindung mit dem Wasser (der Taufe und Initiation). Doch in den meisten Fallen meint man immer beide Johannes um keinen Zweifel aufkommen zu lassen – es ist immer Sonne und Wasser fürs Leben notwendig.

Wie der Autor bei einigen dieser Kultplatzpaaren feststellen konnte, wurde beispielsweise zuerst am Mondkultplatz zu Vollmond mit der Festzeit begonnen. Dann zum Sonnenereignis der Sommersonnenwende ging man nach Osten in einer Prozession zum Sonnenheiligtum und feierte das Ereignis der mythischen Heiligen Hochzeit, des hieros gamos.

Weise Frauend) Weise Frauen auf Heiligen Bergen:
Vermutlich in der Zeit um etwa 2500 v.Chr. zogen sich Weise Frauen auf einsame Bergeshöhen zurück und errichteten oft hölzerne oder steinerne Türme auf denen sich die Sterne befragten
und deuteten. Sie beobachteten die Weisheit und Heilkraft der Natur und unter anderem auch
die kosmischen Zusammenhänge zu erfassen. Sie beobachteten die Sterne, den Mond- und Sonnenlauf und deren Auswirkungen auf die Menschen – es waren die Botschaften und
Intuitionen der Großen Göttin, die sie hier damit verehrten.

Manchmal bauten sich diese Frauen. Sibyllen oder Hegsen 51) eine Wohnburg, die sie gemeinsam bezogen und auch junge Mädchen jahrzehntelang ausbildeten. In ganz Europa gibt es noch namentliche Hinweise auf solche Orte, wie Frauenberg, Jungfernstein, Sternberg (Maria am Sabbatberg) usw. 52). Frau Holle und die Perchta wohnen auf Bergen und in der Tiefe (Licht-Epiphanias bis zum Jul sowie Schatten der Unterwelt), wissen über die rechte Zeit (Kairos) und
das rechte Tun, von Flachs, Korn, Spinnen und Backen, sie schützen die Tiere (Eule, Uhu, Katzen, Gänse), besitzen die (erdhafte) Weisheit (Sophia) von Gesundheit, Kräutern, Geburt
und Tod. Sie waren daher Seherin, die Initiationsmeisterin, Priesterin und Dienerin des Eros 53).

Heute wissen wir über diese Weisen Frauen nur durch die Sagen, wie sie beispielsweise vor 150 Jahren von Friedrich Panzer 54) aufgezeichnet wurden. Nach diesen Überlieferungen erfahren wir von Frauenbergen, auf denen ein Turm gestanden sein soll, in dem die Drei Frauen gehaust hätten. Dieser Turm ware verwünscht worden (von wem und warum?) und versunken. Und nur zu »heiligen Zeiten« erscheinen die Drei Frauen mit dem Licht. Die Volkskunde fand auch die »Dreifrauen-Symbole« auf den Turmglocken dieser Holztürme (Disåsen = Disenberg in Südbohuslän, Südschweden), die die Theorie der Mutterberge bestätigen. Hermann Wirth beschreibt, dass die »Drei Mütter« auf den Frauenbergen die irdischen Vertreter dieser drei »Göttlichen Mütter« sind und belegt dies aufgrund seiner Ursymbolforschungen.

Der Autor hat einige dieser Frauenberge untersucht und dabei meistens Plätze der Weiblichen Weisheit vorgefunden, die bei den Frauen das Chakra des 3. Auges und damit die Intuition gefördert haben. Ein Kultzentrum dieser Art ist der 1125 Meter hohe Sternstein im Mühlviertel, Oberösterreich, auf dessen Gipfel heute eine Aussichtswarte steht. Am Sternstein findet man außer diesen Plätzen der Weiblichen Weisheit vielerlei Frauenkultplätze, einen Steinkreis für Frauen, und sehr viele Heilquellen fließen herab nach Bad Leonfelden mit seiner Heilbad-Tradition.. Hier befinden sich auch keltische Kultplätze und Glasöfen.

Flurnamen, die auf Heilige Berge hinweisen siehe 1.14).

 

46) Hans Biedermann: Lexikon der Symbole, ISBN 3899962524, Area Verlag, Oktober 2004
47) Cooper: Lexikon der traditionellen Symbole, ISBN 3928127176, VMA Verlag, 1993
48) Mitteilungsblatt des Österreichischen Verbandes für Radiästhesie und Geobiologie Nr. 37, März 1992 als Übersetzung aus »the Fountain«
49) Jens Möller: Geomantie in Mitteleuropa, ISBN 3591082724, J. Kamphausen Verlag, 1995
50) siehe Glossar
51) Etymologisch: hagedise: Weise Frau im Hag (oft mit Dornen- oder Schlehdorngestrüpp umgrenzter Bereich) oder auch der »weise Geist im Hag«.
52) Mellie Uyldert: Mutter Erde, ISBN 3880343284, Hugendubel-Verlag, 1987
53) Ingrid Riedel: Die weise Frau in uralt-neuen Erfahrungen, ISBN 3530691097, Walter Verlag, Januar 2002
54) Friedrich Panzer: Beiträge zur Deutschen Mythologie. Bayrische Sagen und Bräuche. München 1848
55) Hermann Wirth: Die Frage der Frauenberge – eine europäische Gegenwartsfrage. ECCESTAN-Verlag, Marburg an der Lahn

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